45 Jahre nach dem „Radikalenerlass“ von 1972:

28. Januar 2017

45 Jahre nach dem „Radikalenerlass“ von 1972:

Erfolg gegen drohendes neues Berufsverbot in Bayern –

Kerem Schamberger wurde eingestellt

Die VVN-BdA Bayern gratuliert Kerem Schamberger zu seiner Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München zum 1. Januar 2017.

Die Anstellung war längst überfällig. Aber Bewerber für den öffentlichen Dienst in Bayern müssen einen „Fragebogen zur Prüfung der Verfassungstreue“ ausfüllen. Kerem Schamberger hatte hier u.a. seine Mitgliedschaft in der VVN-BdA und der DKP angegeben, woraufhin die Universität München das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz um Auskunft ersuchte. Monatelang ließ sich daraufhin diese Behörde Zeit für eine Antwort. Entgegen deren Hinweisen auf angeblich verfassungsfeindliche Aktivitäten Schambergers sah die Universität München dann aber keinen Grund für die Verweigerung der Einstellung. Damit wurde ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des Verfassungsauftrags „Freiheit von Kunst und Wissenschaft“ geleistet.

Möglich wurde dieser Erfolg durch das engagierte Eintreten der Verantwortlichen des Instituts für ihren Doktoranden Schamberger und durch die breite Unterstützung, die er erfahren hat.

Das große öffentliche Interesse an diesem drohenden „Berufsverbot“ für einen Antifaschisten und Marxisten lenkt den Blick auch wieder auf ein betrübliches Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte – der Ausgrenzung kritischer, links eingestellter Personen vor allem aus dem öffentlichen Dienst. In Nachfolge des sog. „Adenauer-Erlasses“ von 1950 beschlossen am 28. Januar 1972, also vor 45 Jahren, die Ministerpräsidenten der Länder den sog. „Radikalenerlass“, der in den knapp zwanzig Jahren seiner Gültigkeit zu etwa 3,5 Millionen Überprüfungen von Bewerbern, zu 11000 Verfahren und weit über 1000 „Berufsverboten“ führte. Vom individuellen Leid dieser unmittelbar Betroffenen abgesehen: Der „Radikalenerlass“ führte zu massiver Einschüchterung und politischer Anpassung vor allem junger Menschen – und auch zum Aufblähen der Verfassungsschutzbehörden, die den Feind traditionsgemäß in den „Linken“ sahen und auf dem rechten Auge meist „blind“ waren. Was Kritiker damals bereits deutlich machten, ist heute gängige Auffassung: Der „Radikalenerlass“ war niemals Schutz für Demokratie und Verfassung, sondern baute demokratische Rechte ab.

Der Fall Schamberger, der über die Bundesrepublik hinaus bekannt wurde, macht aber auch darauf aufmerksam, wie sehr das Bayerische Innenministerium und seine Behörde, das Landesamt für Verfassungsschutz, noch immer in den Schützengräben des kalten Krieges verharren. Bayern hatte als letztes Bundesland 1991 den „Radikalenerlass“ abgeschafft, um danach als damals einziges Bundesland den erwähnten „Fragebogen zur Prüfung der Verfassungstreue“ als Nachfolgeinstrument einzuführen. Bayern wollte Vorreiter bleiben in der Abwehr kritischer, linker Menschen und Vorreiter bleiben im Kampf gegen den sog. „Linksextremismus“. Jahrzehntelange Verharmlosung der Gefahr von rechts war die Folge – bis hin zum Versagen auch des Bayerischen Verfassungsschutzes bei den NSU-Morden.

In den jährlichen bayerischen Verfassungsschutzberichten sowie in der Liste „verfassungsfeindlicher“ Organisationen, die Bewerbern für den öffentlichen Dienst vorgelegt wird, ist auch die VVN-BdA aufgeführt. Damit wird dieser vor 70 Jahren von ehemaligen NS-Opfern gegründeten Organisation die demokratische Legitimität abgesprochen und werden ihre Mitglieder als Verfassungsfeinde diffamiert. Das zeigt besonders deutlich, wie sehr das Bayerische Innenministerium den Verfassungsschutzbericht als politisches Kampfmittel nutzt.

45 Jahre nach Verabschiedung des „Radikalenerlasses“ sollte auch in Bayern endgültig Schluss sein mit der unheilvollen Ausgrenzung von Demokraten und AntifaschistInnen und der Drohung mit „Berufsverboten“. Deshalb: Dieser „Fragebogen zur Prüfung der Verfassungstreue“ gehört abgeschafft.

München, Januar 2017

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und

Antifaschisten / Landesverband Bayern

Als pdf-Datei siehe Erklärung VVN Bayern zu Kerem Schamberger und 45 Jahre Radikalenerlass