„Die Angst kam erst, als ich wieder draußen war“

5. Juni 2009

Artikel und Bilder aus der Zeitschrift der Arbeiterwohlfahrt „AWO in Bayern“, Ausgabe 2, Juni 2008 Hans Taschner wird mit der Ehrenmedaille des Bezirksverbandes ausgezeichnet Ehrenmedaille des AWO Bezirksverbandes Oberbayern Die 1993 vom Bezirksverband geschaffene Auszeichnung ist eine Anerkennung für außerordentliches und beispielhaftes Engagement innerhalb und außerhalb der AWO. Die Geehrten haben mit ihrer Tätigkeit wichtige Impulse in der Gesellschaft gesetzt. Traditionell wird die Ehrenmedaille auf der Bezirkskonferenz verliehen die alle vier Jahre stattfindet. Die haben es gut“, denkt man unweigerlich, wenn man an einem sonnigen Frühlingstag den Garten des gepflegten Einfamilienhauses von Familie Taschner betritt. Denn das Haus liegt am oberbayerischen Wörthsee. Idyllisch schippern die Segelboote auf der glitzernden Wasseroberfläche des Sees, auf der anderen Seite des weitläufigen Grundstücks reicht der Blick über Wiesen und Felder bis in die Berge. In der Tat würde Hans Taschner sein Heim „nicht mit einem Schloss tauschen“ wollen. Doch so gut hatte es der 97-Jährige keineswegs immer. Und wenn der betagte Herr heute die Ruhe im lichtdurchfluteten Wintergarten genießt, kommen nichtselten Erinnerungen an seine bewegte Vergangenheit hoch. 1911 wurde Hans Taschner als jüngstes von drei Geschwistern in der Münchner Westendstraße geboren. Sein Vater war Sozialdemokrat und Mitbegründer des Konsumvereins München, einer Genossenschaft, die ihre Mitglieder mit Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs versorgte. Den Sendlinger Konsumverein, eine von 125 Filialen der Genossenschaft, führten seine Eltern selbst. Taschner erinnert sich noch gut, wie die Menschen bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor dem Laden um Lebensmittel Schlange standen. Beeindruckt von der perfekten Organisation des Geschäfts, vom Fleiß seiner Eltern und der dort beschäftigten Verkäuferinnen machte Taschner später selbst eine kaufmännische Ausbildung in einem Textilbetrieb. Der Arbeiterschaft blieb er verbunden und engagierte sich in seiner Freizeit vor allem in der Gewerkschaft. Als der junge Mann jedoch seine Kollegen eines Tages zu einer Protestversammlung einlud, um sich gegen geplante Vertragsänderungen zu wehren, wurde er bereits am nächsten Tag vor die Tür gesetzt. Als „Gewerkschaftsrebell“ gebrandmarkt fand er erst zwei Jahre später wieder eine Stelle, und zwar bei der Arbeiterwohlfahrt, deren Büro im Münchner Gewerkschaftshaus in der Pestalozzistraße untergebracht war. Politisch sympathisierte Taschner damals mit dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK), der, wie er betont, schon früh vor der Bedrohung des Nationalsozialismus warnte und zum geschlossenen Widerstand aufrief. Auf einer öffentlichen Versammlung zog sich Taschner deshalb den Zorn des damaligen Gewerkschaftschefs Gustav Schiefer zu, der noch 1933 die Auffassung vertrat, dass der „Nazi-Spuk“ bald wieder vorüber sein würde. Doch nur wenige Tage später wurde das Gewerkschaftshaus besetzt und Schiefer von der SA verhaftet, während es Taschner noch gelang, eine von der damaligen Leiterin der AWO Geschäftsstelle, Frau Übelhör zusammengestellte Liste mit Namen von AWO Mitgliedern herauszuschmuggeln und zu verstecken. Nicht diese Aktion, sondern ein Flugblatt über den Widerstandskämpfer Hans Beimler, der aus dem Konzentrationslager Dachau geflohen war, wurde ihm zwei Jahre später selbst zum Verhängnis. Denn das Flugblatt hatte ihm jemand für alle sichtbar in den Briefkasten gesteckt und ihn anschließend denunziert. Obwohl zwar weder das Flugblatt noch andere Beweise für einen „Landesverrat“ bei ihm gefunden wurden, verhaftete die Gestapo den 24-jährigen Taschner und steckte ihn in das Gefängnis. Nach vier Monaten Untersuchungshaft in Stadelheim und Neudeck wurde zwar das eingeleitete Verfahren wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ wieder eingestellt, Taschner aber dennoch ins Konzentrationslager Dachau verfrachtet. Vier Jahre verbrachte er dort als politischer Gefangener. Nach monatelanger Schufterei in einer Kiesgrube und beim Lagerstraßenbau wurde er glücklicherweise auf Vermittlung eines Mithäftlings in die Lagerschreibstube „versetzt“. Dort lernte er unter anderen Mithäftlingen den KPD-Redakteur Willi Grimm, den späteren österreichischen Bundeskanzler Alfons Gorbach, den ehemaligen Braunschweiger Landtagspräsidenten Kuno Rieke und Kurt Schumacher, den späteren SPD-Chef im Deutschen Bundestag, kennen. „Obwohl ich zwischenzeitlich wegen angeblicher Meuterei in den Bunker musste, bei Verhören mit Ketten auf den Rücken gefesselten Händen hochgezogen und mit Stockhieben auf dem Bock gequält wurde, hatte ich damals keine Angst“, erinnert sich Taschner. Ganz einfach, weil er mit dem Leben innerlich schon abgeschlossen hatte.“ Die Angst kam erst nach seiner Entlassung im Jahr 1939, wo er anlässlich des 50. Geburtstages von Hitler als einer von 500 Gefangenen das KZ überraschend verlassen durfte. Die permanente Furcht, dass ihn ein falsches Wort wieder von einem Tag auf den anderen dahin zurück bringen könnte, war so groß, dass er regelrecht erleichtert war, als er noch im Dezember 39 in die Wehrmacht, die nichts von seiner Haft wusste, eingezogen wurde. 1941 kam er an die russische Front. So fühlte er sich wenigstens sicher vor dem KZ! Dach Glück im Unglück brauchte der ehemalige KZ-Häftling und jetzige Wehrmachtssoldat natürlich auch dort. So rettete wohl nur eine Fahrzeugpanne wenige Kilometer vor Stalingrad sein Leben, wo die deutschen Soldaten bereits eingekesselt waren. Gerade als Taschners Einheit die Fahrt wieder aufnehmen wollte, kam der Befehl zum Rückzug. Nach seiner ebenso gefährlichen wie abenteuerlichen Rückreise aus Russland landete Taschner schließlich wohlbehalten im Haus am Wörthsee, das seine Eltern Mitte der 30er-Jahre gebaut hatten. Sofort begann er bei seiner früheren Firma zu arbeiten. Später gründete er eine eigene Firma und veräußerte sie schließlich, als er sich mit 70 Jahren zur Ruhe setzte. Seit nunmehr acht Jahren besucht der sympathische alte Herr jeden Nachmittag seine Frau im Pflegeheim, die schwer erkrankt und bettlägerig ist. Zwar hat er sich als junger Mann damals im Dachauer KZ, Block 3 Stube 3, nicht träumen lassen, fast hundert Jahre alt zu werden und noch unzählige schöne Momente mit seiner Familie verbringen zu dürfen. Das gewisse „ungute Gefühl“, denunziert zu werden, ist jedoch bis heute geblieben. Für seinen Mut und seine unbeirrbare politische Einstellung zu einem demokratischen Sozialismus auf ethischer Basis nach l. Nelson, dem Gründer des ISK, wird der ehemalige AWO Mitarbeiter im Juni mit der Ehrenmedaille des Bezirksverbandes ausgezeichnet.