Der „Charakter der Ordnung“
3. April 2014
Aufschlussreiches zur Polizei in der NS-„Hauptstadt-der Bewegung“ Wer sich Gedanken macht über das Verhalten von Polizei und Geheimdiensten gegenüber Faschisten und Antifaschisten heute, kommt nicht umhin, sich auch mit den Traditionen deutscher „Sicherheitsorgane“ zu befassen. Recherchen eines Arbeitskreises von Polizeibeamten und wissenschaftlichen Mitarbeitern des künftigen Münchner NS-Dokumentationszentrums zum Thema „Die Münchner Polizei und der Nationalsozialismus“ sind hier hilfreich. Erforscht wurde unter Leitung des Historikers Dr. Joachim Schröder, wie wichtige Teile der Münchner Polizei sich gegenüber dem Aufstieg der faschistischen Bewegung und den Nazis an der Macht verhalten haben. Ausdrücklich ausgespart blieb die Geheime Staatspolizei, die aus der Bayerischen Politischen Polizei hervorgegangen war. Viele Gestapo-Größen wie z.B. Heinrich Himmler, Reinhard Heydrich, Heinrich Müller u.a. bewiesen in München ihre Brauchbarkeit, bevor sie in Spitzenpositionen nach Berlin gerufen wurden. Die Gestapo unterstand jedoch nicht mehr dem Münchner Präsidium. Aber auch über die „normale“ Polizei kamen unbequeme Wahrheiten zutage. „Was wussten wir schon über die nationalsozialistische Vergangenheit des Polizeipräsidiums München, was erwarteten wir zu erfahren?“ fragt Kriminalhauptkommissar Fabian Frese in einem Artikel auf der Website des Dokumentationszentrums, in dem er den Arbeitskreis vorstellt. „War uns klar, dass geschlossene Einheiten der Münchner Polizei an Kriegsverbrechen, an der massenhaften Ermordung von Zivilisten beteiligt waren? Überraschte uns, dass Transporte in die Vernichtungslager durch Münchner Schutzpolizisten begleitet wurden, Münchner Polizisten sogar in KZ-Mannschaften waren?“ Das Bild der Polizei sei, so Frese, geprägt gewesen von „den frühen Entscheidungen in den Nürnberger Prozessen: Gestapo und SS waren als verbrecherische Organisationen gebrandmarkt – die Polizei nicht“. Lange habe sich der Mythos gehalten, Schutz- und Kriminalpolizei seien „sauber geblieben“. Für die Dauerhaftigkeit der Legende von der „unpolitischen“, „sauberen“ Polizei sei der Einfluss von „Tatbeteiligte(n) und Anstifter(n)“ entscheidend gewesen, die ihre Laufbahnen nach 1945 unbehelligt fortsetzen konnten. Das Buch informiert über die Vorgeschichte in der Weimarer Republik: über antidemokratische Tendenzen aus der Zeit vor und während des Ersten Weltkriegs und der Niederschlagung der Räterepublik, über Schutz und Unterstützung, die Freikorps, Kapp-Putschisten und Fememörder genossen, über die frühe Existenz nationalsozialistischer Zellen in der Polizei und über die Großzügigkeit, mit der die Polizeiführung diese „im völkischen Lager stehenden wertvollen Kräfte der vaterländischen Bewegung“ gewähren ließ. Und auch über Gegensätzliches: Während Wilhelm Frick, Leiter der Politischen Abteilung der Münchner Polizei, mit den Putschisten des 9. November 1923 kooperierte, schlug die Landespolizei den Putschversuch nieder. Der zweite Abschnitt behandelt die Jahre 1933 bis 1945, den Umbau der Polizei zum Terrorapparat, ihre Rolle bei der Verfolgung verschiedener Opfergruppen im Reich und in den besetzten Ländern, die Beteiligung an Kriegsverbrechen und am Holocaust. Auch nach Handlungsspielräumen wird gefragt. Bei der Suche nach „wirklich mutigem, abweichendem Verhalten“ kamen lediglich drei Fälle zutage. Im Abschnitt „Neue Polizei – neues Denken?“ geht es um Kontinuitäten nach 1945. Eine „fortgesetzte Kriminalisierung von Sinti und Roma und Homosexuellen“ wird festgestellt, altgediente Kommunistenhasser konnten wählen, ob sie ihre Karriere bei der Polizei, beim Verfassungsschutz oder beim Bundesnachrichtendienst fortsetzen wollen. Viele hohe Funktionäre des NS-Regimes wurden bei der „Entnazifizierung“ als „Mitläufer“ eingestuft. Zur Veränderung, die die faschistische Macht für die Polizei mit sich brachte, ist zu lesen: „Alle Polizeisparten … überwachten und vollstreckten die Gesetze und Verordnungen, die die damalige Regierung erließ. Dies unterschied sie nicht von der heutigen Polizei oder derjenigen der Weimarer Republik. Geändert hatte sich nunmehr der Charakter der Ordnung, die die Polizei unter dem NS-Regime aufrecht zu erhalten hatte…: Sie schützte nicht mehr die Rechte des Individuums vor Übergriffen anderer (auch des Staates). Geschützt wurde nur noch die nationalsozialistische ‚Volksgemeinschaft‘, die nach politischen, ‚rassischen‘ und sozialen Kriterien Menschen in diese Gemeinschaft ein- und aus ihr ausschloss.“ Solche Sätze regen dazu an, über den „Charakter“ zu schützender Ordnungen nachzudenken – und darüber, was es bedeutet, wenn es heute offenbar in Polizei und Geheimdiensten wieder Tendenzen gibt, dem Treiben von Nazis nachsichtig, wenn nicht gar positiv gegenüber zu stehen, und dies durch vorgesetzte Stellen geduldet wird. Im Vorwort bemüht dagegen Bayerns Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer mit „Extremismus“-Warnungen das alte Rechts-gleich-Links-Schema. Das Buch gibt das an keiner Stelle her. Renate Hennecke