Rede bei der Gedenkstunde „Friedensweg“ am ehemaligen SS-Schießplatz Dachau-Hebertshausen
3. Mai 2009
Ernst Grube: Sich der „Geschichte stellen“ heißt für den Frieden kämpfen Anlässlich der Eröffnung des neuen Besucherzentrums der KZ-Gedenkstätte Dachau am 30.April auf dem ehemaligen Appellplatz sprach der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer vom Weg des Erinnerns „…dessen Abschnitt nun vollendet ist“. Er hat dabei „übersehen“, dass dieser Weg bis nach Hebertshausen, zur ehemaligen SS-Schießanlage führt und dieser Abschnitt noch lange nicht vollendet ist. Er sprach von den Opfern, von den Juden, den Sinti und Roma, von den Christen und von den überzeugten Demokraten. Dass diese überzeugten Demokraten Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftler waren, ist ihm wohl bis heute noch nicht bewusst geworden – er hat es nicht für nötig gefunden, diese zu benennen. Er fand auch kein einziges Wort für die tausende sowjetischen Kriegsgefangenen, die hier an diesem Ort von den Faschisten ermordet wurden. Der von den faschistischen Machthabern in Deutschland propagierte Rassismus gegenüber Juden, Sinti und Roma und anderen Minderheiten hat das rücksichtslose Vorgehen der deutschen Wehrmacht mit bestimmt. Die Menschen aus der Sowjetunion und aus anderen Teilen Osteuropas wurden von den deutschen „Herrenmenschen“ als „Untermenschen“ angesehen und behandelt. Mit dem so genannten „Kommissarbefehl“ des Oberkommandos der Wehrmacht vom 6. Juni 1941, den damit verbundenen „Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Russland“ und den Einsatzbefehlen Nummer 8 und 9, die im Juli 1941 das Reichssicherheitshauptamt in enger Abstimmung mit dem Oberkommando der Wehrmacht erließ, wurden Kriterien festgelegt, wer alles in den Kriegsgefangenenlagern „ausgesondert“, das heißt erschossen werden soll. Der hier gelegene SS-Schießplatz Hebertshausen gehörte zu den zentralen Exekutionsorten für sowjetische Kriegsgefangene. SS-Einheiten ermordeten hier von September 1941 bis Juni 1942 4.300 bis 4.500 Gefangene. Gegen geltendes Völkerrecht hatten Wehrmacht und Gestapo in süddeutschen Kriegsgefangenenlagern Hammelburg, Nürnberg-Langwasser und Moosburg die Offiziere, kommunistische Funktionäre, Intellektuelle und Juden zur Ermordung „ausgesondert“. Für die an diesem Ort zusammen getriebenen Menschen aus der Sowjetunion gab es keine Aussicht auf eine Befreiung. Wir gedenken hier der im Umfeld des Konzentrationslagers Dachau ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen. Die hunderttausendfachen Morde an sowjetischen Kriegsgefangenen – in Dachau-Hebertshausen und anderen Konzentrationslagern und in der von Deutschland überfallenen Sowjetunion – gehören neben den Massenmorden an Juden, an Sinti und Roma, Behinderten, politischen Gegnern u .a. zu den größten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die vom NS-Regime und seinen Vollstreckern verübt wurden. Der Großteil dieser Verbrechen wurde nie gesühnt, die Täter entgingen der Bestrafung. Dies betrifft sowohl die Verbrechen in den Konzentrationslagern als auch die Verbrechen der Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges in Ost und West. Einige dieser Verbrechen sind in den vergangenen Jahren wieder etwas deutlicher in den Blick der Öffentlichkeit gerückt – auch, weil Historiker, Verfolgtenorganisationen und kritische Nachgeborene nicht nachließen und nachlassen im Bemühen, die Verbrechen aufzuklären, nach noch lebenden Tätern zu fahnden und überlebende Opfer und deren Angehörige zu unterstützen in ihrem Kampf um eine Entschädigung für die Leiden, die von Deutschen über sie und ihre Familien gebracht wurden. Vor allem in Griechenland und in Italien geht es darum – und die deutschen Behörden verhalten sich bisher mehr als beschämend in diesen Fragen. Einige Beispiele: Im Juni 1944 wüteten die Wehrmacht als Besatzungsarmee und die SS unter anderem in Italien und in Griechenland. In einer kleinen Ortschaft nicht weit von Delphi ermordeten Angehörige der 4. SS-Polizei-Panzergrenadier-Division im Zuge einer so genannten Vergeltungsaktion 218 am Widerstand der Partisanen völlig unbeteiligte Dorfbewohner. Im Gefechtsbericht wurde behauptet, „Bandenangehörige und Bandenverdächtige“ seien getötet worden. Überlebende berichteten nach dem Massaker jedoch, dass Männer und Kinder wahllos erschossen, Frauen vergewaltigt und niedergemetzelt wurden. Für das Massaker wurde kein (verantwortlicher) Soldat je strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Vor italienischen Gerichten haben inzwischen italienische Opfer der deutschen Besatzer erfolgreich auf Entschädigung, die griechischen Opfer erfolgreich auf Vollstreckbarkeit ihres griechischen Rechtstitels gegen deutsches Eigentum in Italien geklagt. Die Bundesrepublik Deutschland hat in all diesen Entschädigungsverfahren „Staatenimmunität“ für die Kriegs- und Völkerrechtsverbrechen gefordert. Dieses Argument haben sowohl das höchste Gericht Griechenlands als auch der italienische Kassationshof zurückgewiesen. Um der Vollstreckung der Entschädigungsansprüche zu entgehen, hat die Bundesregierung nun im Dezember 2008 Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag erhoben. Sie will grundsätzlich festschreiben lassen, dass die italienischen Gerichte für diese Rechtsfälle nicht zuständig, ihre Urteile eine Verletzung des Völkerrechts, eine Verletzung der Souveränitätsrechte Deutschlands seien. Die Bundesrepublik Deutschland stellt sich also in diesem Verfahren selbst als Opfer dar. Diese Klage vor dem Internationalen Gerichtshof ist eine Verhöhnung der Opfer! Die Klage muss zurückgezogen werden! Ein weiteres Beispiel: In Falzano di Cortona, einem Dorf in der Toskana, mordeten am Juni 1944 Angehörige des Gebirgs-Pionier-Bataillons 818. Auch hier nennen sie es „Vergeltungsaktion“. Eine 74-jährige Frau, ein 14-jähriger Junge sowie drei Männer im Alter zwischen 21 und 55 Jahren werden sofort erschossen.13 Männer zwischen 15 und 74 Jahren werden festgenommen, elf von ihnen in ein Haus gesperrt. Das Haus wird vermint und mit den Eingesperrten in die Luft gesprengt. Die Angehörigen der Ermordeten – von denen kürzlich einige hierher zu einer Veranstaltung über die deutschen Kriegsverbrechen in Italien und Griechenland gekommen waren – verlangen, dass strafrechtlich und zivilrechtlich Verantwortung für die Massaker übernommen wird. Wenn schon versäumt wurde, die Täter rechtzeitig zur Rechenschaft zu ziehen, so sollten wenigstens die Opfer und Hinterbliebenen der Verbrechen endlich entschädigt werden. Wie sagte der Bayerische Ministerpräsident vor einigen Tagen auf dem Appellplatz: „Wir vergessen nicht, wir verdrängen nicht, wir relativieren nicht was (hier)geschah. Wir stellen uns unserer Geschichte“. Wenn Sie das ernst meinen, Herr Ministerpräsident, dann helfen Sie mit, dass die noch lebenden Opfer dieser Verbrechen und deren Hinterbliebene die ihnen gebührende Entschädigung erhalten. Seit nunmehr 22 Jahren trägt diese Gedenkveranstaltung an die ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen den Namen „Friedensweg“. Als sie 1985 erstmals stattfand, bestand die Gefahr, dass aus dem damaligen Kalten Krieg wieder ein heißer werden könnte. Von diesem Ort forderten wir damals mit Freunden aus der Friedensbewegung, dass an die Stelle der Ost-West-Blockkonfrontation eine Politik des Verhandelns und der Aussöhnung treten und das Drehen an der mörderischen Hochrüstungsspirale ein Ende haben müsse. Die Initiatoren des „Friedensweges“ fanden für solchen einen Appell den Ort des nazistischen Massenmordes an sowjetischen Kriegsgefangenen, den damals als Gedenkort vernachlässigten ehemaligen SS-Schießplatz Hebertshausen, als eine angemessene Stätte. Die damalige Systemkonfrontation gibt es in dieser Form seit über einem Jahrzehnt nicht mehr. Wer aber geglaubt und gehofft hatte, es würde ab jetzt friedlicher in der Welt zugehen und allseits abgerüstet werden, der sah sich schnell eines Schlechteren belehrt. Auch über 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat sich der Wunsch nach einer friedlichen Welt nicht erfüllt. Das große „Nie wieder!“, das auch in der Gedenkstätte Dachau in mehreren Sprachen an der Mauer steht, an der wir unsere Kränze niederlegen – dieses „Nie wieder!“ hat stets bedeutet: „Nie wieder Faschismus“, nie wieder Massenvernichtung und Terror, aber eben auch „.Nie wieder Krieg“. Ministerpräsident Seehofer griff dieses „Nie wieder“ auf. Er sagte: „ Die Menschen, die dieses Grauen überlebten, legten den Schwur ab: „Nie wieder““. Dieser Schwur bedeutet Verantwortung und Verpflichtung für uns und für den (Bayrischen) Staat jeder Form der Ausgrenzung, der Verletzung der Menschenrechte, den Aktivitäten der Neonazis entgegenzutreten.“ Menschen und Organisationen, wie das antifaschistische Dokumentationsarchiv „a-i-d-a“ oder die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ die sich den Neonazis und damit der Verbreitung der Nazi-Ideologie entgegenstellen, dürfen staatlicherseits nicht behindert oder durch Nennung im Verfassungsschutzbericht diskriminiert und beschädigt werden. Sich der „Geschichte stellen“ heißt für den Frieden kämpfen – Neofaschismus verhindern. Für die Bayerische Staatsregierung heißt es aber auch: den Weg des Erinnerns bis nach Hebertshausen zu vollenden. Hier an diesem Ort muss die begonnene Gestaltung eines Friedhofes und eines würdigen Gedenkortes vollendet werden. Der Bund hat die hierfür notwendigen Teilmittel zur Verfügung gestellt – jetzt fehlen noch etwa 400 000 Euro aus Mitteln des bayrischen Staates. Liebe Freunde und Freundinnen der alte Brauch, unsere Nelken im Anschluss an die Gedenkstunde im Kugelfang des Schießplatzes abzulegen, ist nicht mehr so wie bisher möglich, da sterbliche Überreste von Erschossenen vor dem Kugelfang gefunden wurden. Es handelt sich also um Gräber, die wir mit Respekt behandeln und nicht mit Füßen treten sollten. Ich bitte euch deshalb, die Blumen an den beiden Mahnmalen niederzulegen. (Ernst Grube ist stellvertretender Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau, Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Bayern (VVN-BdA) und stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit in Dachau)