VVN-BdA initiiert Gedenkzeichen für Franz Wipplinger, Gegner des NS-Krieges
29. Oktober 2022
Der Priesteranwärter wurde 1944 zum Tode verurteilt und hingerichtet
„Die Menschen sind alle verschieden, …/ Aber überall hofft man auf Frieden /
Und die Blumen blüh′n überall gleich“
Mit diesem Lied stimmten am 4. Oktober Kinder des Chores der Grundschule an der Tumblingerstraße in berührender Weise auf eine besondere Gedenkstunde ein: die Erinnerung an den angehenden Priester Franz Wipplinger, der 1944 dem Naziterror zum Opfer gefallen war.
Das Erinnerungszeichen hatte die Münchner VVN-BdA beantragt, zusammen mit weiteren Ehrungen an Frauen und Männer des Widerstandes und der Verfolgung.
Wer war dieser Franz Wipplinger?
Er wurde am 10. Januar 1915 in München geboren und wuchs zusammen mit seiner Schwester bei den Eltern in der Maistraße 31 auf, im Sprengel der heutigen Pfarrei St. Anton. Er besuchte bis 1927 die Volksschule in der Tumblingerstraße, anschließend das Theresiengymnasium. Engagiert war er in einer katholischen Jugendgruppe, nicht jedoch in Hitlerjugend oder der Nazipartei. Nach dem Abitur studierte er Theologie in Freising, leistete den damals vorgeschriebenen Arbeitsdienst ab und wurde schließlich zur Wehrmacht als Soldat eingezogen. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde er an der Ostfront eingesetzt. Die dortigen Erlebnisse erschütterten ihn zutiefst, wie Briefe bezeugen, die er u.a. an den Regens seines Priesterseminars schrieb und die teilweise im Archiv des Erzbistums erhalten sind. „Dieser Krieg ist furchtbar … Wir zogen weiter und hinter uns brannten die Häuser dieser armen Leute ab. So standen sie, viele ohne Hab und Gut, in der grausigen Winterkälte. Ich schreibe nicht gern solche Sachen nach Hause …“ (Brief vom 6.1.1942 aus Russland). Am 13.3.1942 heißt es: „Hätten wir nicht unseren Gottesglauben, wir müssten seelisch und geistig erfrieren.“
Am 6. Mai 1942 wurde Franz Wipplinger schwer verwundet und kam über verschiedene Lazarette schließlich wieder nach München, wo er als Schreiber im Stab eines Kommandeurs in der Schwabinger Winzererstraße arbeitete.
Und er schrieb weiter Tagebuch, formulierte seine Verzweiflung über die schlimmen Zustände, aber auch die Hoffnung auf Veränderungen: „ Wie lange soll dieser Krieg noch so weitergehen? Sehen es denn die verantwortlichen Männer immer noch nicht ein, daß sie das Volk unschuldig hinmorden lassen … Hitler wird auch nach der Einsetzung des Bluthundes Himmler nicht mehr verhindern können, daß trotz aller Stumpfheit, Massenpsychose und Furchtsamkeit der Deutschen das geknechtete Gewissen sich rührt und Sorge, Vernunft und radikale Ablehnung lauter und lauter werden.“ (28.8.1943)
Das Tagebuchschreiben, das er seit vielen Jahren pflegte, wurde ihm nun zum Verhängnis. Irgendjemand erfuhr davon und verriet Franz Wipplinger. Am 4. 12.1943 wurde er ins Militärgefängnis eingeliefert, unzähligen Verhören unterzogen und wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ und des Hörens von „Feindsendern“ angeklagt. Aufgrund von Verschärfungen des Strafrechts galten sogar private Aufzeichnungen als „öffentlich“. Am 31. August 1944 wurde der 29jährige Franz Wipplinger vom Feldgericht des Heeres in Berlin zum Tode verurteilt und am 24. Oktober im Gefängnis Berlin-Spandau hingerichtet. Ein Gnadengesuch wurde abgelehnt.
In der Gedenkveranstaltung, für die Rektorin Ulrike Hohl ihre Schule geöffnet hatte, wurden verschiedene Aspekte des Geschehens verdeutlicht. So verwies die Pastoralreferentin Judith Einsiedel von der Erzdiözese auf den notwendigen kritischen Umgang mit unserer Geschichte und betonte Barbara Turczynski-Hartje vom Bezirksausschuss die furchtbare Rolle der Denunziation. Bruder Thomas Schied vom Pfarrverband Isarvorstadt begrüßte die Initiative der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (die ihr Büro in der nahen Frauenlobstraße hat) zur Ehrung von Franz Wipplinger auch besonders deshalb, weil er erst kurz vorher von dessen Schicksal erfahren und sich vorgenommen hatte, das Andenken an Wipplinger in der Pfarrgemeinde wieder zu beleben. Die VVN-BdA ging in ihrem Beitrag auf die unheilvolle Rolle der NS-Militärjustiz ein – einschließlich weiterer Karrieren in der Bundesrepublik. Die Grüße der Stadt München überbrachte in Vertretung des Oberbürgermeisters Stadtrat Stefan Jagel und betonte dabei auch die Notwendigkeit unseres heutigen Engagements für Frieden und Solidarität angesichts des Krieges in der Ukraine.
Im Anschluss an die Gedenkstunde wurde am ehemaligen Wohnort Wipplingers in der Maistraße 31 (in der Nachbarschaft des VVN-Büros) das Gedenkzeichen angebracht, mit dem die Stadt München auf heute meist vergessene Opfer der NS-Verfolgung aufmerksam macht.
(Friedbert Mühldorfer)