taz-Artikel zum „Portal gegen Linksextremismus“ Bayern hat ein Portal gegen Linksextremismus gestartet. Dabei wird auch vor einem 78-jährigen Holocaust-Überlebenden gewarnt. Der ganze Artikel findet sich unter: www.taz.de/Bayerische-Webseite-gegen-Linksextremismus/!76774/
Hans Taschner wird 100
5. Juni 2011
aus der Antifa 3/2011 Am 12.7. um 17.00 Uhr ehrt der DGB München in Zusammenarbeit mit AWO und VVN den Jubilar. Beitrag als Download
Skandalöse Diffamierung von Naziverfolgten durch Verfassungsschutz und Innenministerium
3. Juni 2011
Wer helfen will: Protestschreiben an das Bayerische Innenministerium und den Ministerpräsidenten Protestschreiben an die örtlichen Landtagsabgeordneten Mitmachen bei örtlichen und regionalen Aktivitäten gegen Neonazis! Mitglied bei der VVN-BdA werden! Wer sich informieren will: www.vvn-bayern.de Es hat wahrlich gereicht, was das Bayerische Innenministerium in den letzten Jahren unter „Verfassungsschutz“ verstanden hat: die Ausgrenzung antifaschistischer Organisationen wie AIDA oder VVN-BdA, die Ausgrenzung der Islamischen Gemeinde Penzberg (die sich besondere Verdienste um die Integration erworben hat) – alles unter dem durch nichts belegten Vorwurf, „linksextremistisch“ beeinflusst zu sein. Nun aber geht das Innenministerium im neuesten Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2010 einen Schritt weiter, indem es ehemalige Naziverfolgte persönlich diffamiert. Eingerahmt von absurden Behauptungen über den „maßgeblichen … Einfluss von Linksextremisten“ in der VVN und einem „Schulterschluss mit gewaltorientierten autonomen Gruppen“ steht der Satz: „Über den bayerischen Landessprecher der VVN-BdA, Ernst Grube, beispielsweise sind Verbindungen zur DKP und zu autonomen Gruppen bekannt“. Weitere Erläuterungen oder gar Belege werden nicht gegeben – wozu auch, geht es doch den Verfassern nur darum, für unkundige Leser Ernst Grube in die Nähe von sog. „Linksextremisten“ und Gewalt zu rücken. Tatsachen freilich, welche die Absurdität dieser Diffamierungen zeigen würden, werden bewusst verschwiegen: dass Ernst Grube als Kind einer jüdischen Mutter nur mit viel Glück die Deportation ins KZ Theresienstadt überlebt hat; dass Ernst Grube stellvertretender Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau ist und das Vertrauen der noch lebenden Häftlinge genießt; dass er in dieser Funktion seit Jahren auch mit Vertretern der Bayerischen Staatsregierung vertrauensvoll zusammenarbeitet und von der Landtagspräsidentin wiederholt in den Bayerischen Landtag eingeladen wurde; dass er fast tagtäglich in Schulen willkommen ist, um Jugendliche über die Schrecken der Naziherrschaft aufzuklären; dass er in seiner Heimatstadt München mit der Medaille „München leuchtet“ geehrt wurde. Die Diffamierung betrifft aber nicht nur Ernst Grube, sondern letztlich alle Überlebenden des Naziterrors, die in und mit der VVN-BdA für die Erinnerung und gegen neue Nazipropaganda gewirkt haben und sich bis heute engagieren. Besonders bezeichnend ist die Formulierung im Verfassungsschutz-bericht 2009: „Öffentliche Zeitzeugenauftritte von früheren KZ-Häftlingen sollen der Organisation darüber hinaus [neben dem Engagement für ein NPD-Verbot, d.V.] einen demokratischen Anstrich verleihen“. Mit diesem Satz werden ehemalige Häftlinge entweder als gutgläubige, von finsteren VVN-Mächten instrumentalisierte Opfer hingestellt – oder deren Engagement gegen alte und neue Nazis wird als rein taktisches Manöver gewertet. Beides ist gleichermaßen empörend. So werden damit beispielsweise auch die KZ-Überlebenden Martin Löwenberg und Hugo Höllenreiner diffamiert, die bis heute unermüdlich unterwegs sind, um gerade Jugendlichen von den faschistischen Verbrechen zu erzählen. Beide sind vielfach geehrt worden, beide werden von Repräsentanten des Freistaats immer wieder zu Gedenkfeiern eingeladen – und gleichzeitig werden sie und ihre Organisation, die VVN-BdA, im Verfassungsschutzbericht als „extremistisch“ ausgegrenzt. Besonders empörend ist dabei, wenn gerade den ehemaligen Überlebenden des Naziterrors heute Gewaltbereitschaft oder die Tolerierung von Gewalt unterstellt wird. Weder im Bund noch in den anderen Bundesländern wird die VVN-BdA im Verfassungsschutzbericht erwähnt – mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Bayern. Hintergrund dieser Ausgrenzung in Bayern ist neben der Pflege des alten antikommunistischen Feindbildes vor allem die Sorge des Bayerischen Innenministeriums, dass auch in Bayern immer mehr Bürgerinnen und Bürger, Initiativen, Kommunen, Gewerkschaften und Kirchen die Aufrufe zur Zivilcourage ernst nehmen und über Partei- und Weltanschauungsgrenzen hinweg sich gemeinsam den Neonazi-Provokationen entgegenstellen – bunt, gewaltfrei, aber entschlossen! Der jährliche bayerische Verfassungsschutzbericht wird somit für parteipolitische Zwecke als Propagandainstrument benützt, um theatralisch vor der angeblich übergroßen „linksextremistischen“ Gefahr zu warnen (und die Gefahr durch Neonazis in Bayern immer wieder zu verharmlosen!). Initiativen, die sich dennoch nicht vom gemeinsamen Handeln gegen Neonazis abhalten lassen, wird dann notfalls die finanzielle Förderung gestrichen. Eine lebendige Demokratie braucht engagierte Bürgerinnen und Bürger, die Grundgesetz und Bayerische Verfassung ernst nehmen und die Demokratie gerade gegen die menschenverachtende Nazipropaganda verteidigen. Dieses Engagement, zu dem die VVN und die noch lebenden Naziverfolgten auch in Bayern ihren Beitrag leisten, sollte gewürdigt, nicht diffamiert werden. Schluss mit der Diffamierung antifaschistischer Organisationen wie VVN und AIDA durch den Bayerischen Verfassungsschutzbericht !
Zusammenarbeit gegen Neonazismus und Rassismus fördern
21. Januar 2011
Vor über 60 Jahren gründeten auch in Bayern ehemalige NS-Verfolgte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Grundlage der VVN war ein breiter Konsens, der entstanden ist aus dem früheren Gegeneinander und den nachfolgenden leidvollen Erfahrungen von Nazigegnern verschiedenster politischer Positionen: Nur gemeinsam, ohne jede Ausgrenzung, ohne jeden Wahrheitsanspruch, ohne jede Instrumentalisierung für eine weltanschauliche Zielsetzung können antifaschistische Kräfte so stark werden, um den Faschismus zu verhindern. Weil letztlich weite Teile der Gesellschaft vom Faschismus betroffen sind, müssen weite Teile der Gesellschaft einbezogen werden. Inhaltlich zeigen Zukunftsprogramme des Widerstandes, das Potsdamer Abkommen, Verlautbarungen der ersten VVN-Gruppen, das Grundgesetz und insbesondere die Bayerische Verfassung die Breite jenes „antifaschistischen Konsens“: Er war weder antikapitalistisch noch antisozialistisch, sondern hatte eine Gesellschaft zum Ziel, in der demokratische Freiheiten und soziale Gerechtigkeit für alle Menschen gewährleistet, wirtschaftliche Machtkonzentration verhindert, konsequente Friedenspolitik gesichert und jegliche faschistische Propaganda und Aktivität ausgeschaltet sein sollten. Die VVN ist ihrem Grundverständnis nach deshalb überparteilich und keiner Weltanschauung verpflichtet. Sie möchte Menschen verschiedener Generationen und verschiedener Anschauungen gleichberechtigt in ihrem Engagement zusammenführen. In dieser Vielseitigkeit liegt die Stärke des Antifaschismus. Jede Verengung schwächt den Antifaschismus, weil andere Auffassungen und damit andere Mitstreiter ausgegrenzt werden. Deshalb arbeitet die VVN-BdA in München auf folgender Grundlage in Bündnissen gegen das Auftreten von Neonazis: Ziel der Bündnisse ist es, den Protest gegen das öffentliche Auftreten der Neonazis möglichst deutlich und möglichst breit werden zu lassen und damit klar zu machen, dass deren menschenverachtende Propaganda nicht einfach hingenommen wird. Der Protest richtet sich also gegen die Neonazis und deren Propaganda. Wir protestieren aber auch gegen die politisch Verantwortlichen, weil wir als VVN das Verbot von Neonazi-Organisationen und deren Propaganda als Verfassungsauftrag begreifen. Deshalb geht es unserem Verständnis nach nicht um Protest gegen den „Staat an sich“ oder gegen die Polizei, die leider all zu oft von Politik und Gerichten gezwungen wird, das angebliche Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit auch für Neonazis durchzusetzen. Unsere Proteste sind friedlich und gewaltfrei; sie stehen damit auch im Gegensatz zu Theorie und Praxis der Neonazis. Wenn jedoch viele Menschen sich den Neonazis in den Weg stellen – wie dies kürzlich u.a. am 8. Mai 2010 in Fürstenried gelungen ist – so sehen wir darin in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht kein Mittel der Gewalt, sondern ein Mittel des zivilen Ungehorsams zum Schutz von Demokratie und Menschenwürde. Grundsätzlich wollen wir bei allen Protestformen zur Deeskalation und zum gemeinsamen, bunten und solidarischen Handeln beitragen, um möglichst viele Menschen einzubeziehen. Wir wollen im Bündnis immer wieder Verständnis für unterschiedliche Zugänge zum Handeln schaffen, Menschen zusammenführen und den vertrauensvollen Umgang fördern; wir wollen mithelfen, dass engagierte Menschen weder als „linksextrem“ noch als „bürgerlich“ ausgegrenzt werden; wir wehren uns gegen die Verabsolutierung eines „richtigen“ oder „konsequenten“ Antifaschismus oder gegen die falsche und diffamierende Gleichsetzung von „Linksextremismus“ und „Rechtsextremismus“; wir stellen nicht unterschiedliche politische Anschauungen in den Mittelpunkt, sondern immer wieder den Konsens im gemeinsamen Anliegen: die Zurückdrängung faschistischer Kräfte und Ideologie.
„Die Angst kam erst, als ich wieder draußen war“
5. Juni 2009
Artikel und Bilder aus der Zeitschrift der Arbeiterwohlfahrt „AWO in Bayern“, Ausgabe 2, Juni 2008 Hans Taschner wird mit der Ehrenmedaille des Bezirksverbandes ausgezeichnet Ehrenmedaille des AWO Bezirksverbandes Oberbayern Die 1993 vom Bezirksverband geschaffene Auszeichnung ist eine Anerkennung für außerordentliches und beispielhaftes Engagement innerhalb und außerhalb der AWO. Die Geehrten haben mit ihrer Tätigkeit wichtige Impulse in der Gesellschaft gesetzt. Traditionell wird die Ehrenmedaille auf der Bezirkskonferenz verliehen die alle vier Jahre stattfindet. Die haben es gut“, denkt man unweigerlich, wenn man an einem sonnigen Frühlingstag den Garten des gepflegten Einfamilienhauses von Familie Taschner betritt. Denn das Haus liegt am oberbayerischen Wörthsee. Idyllisch schippern die Segelboote auf der glitzernden Wasseroberfläche des Sees, auf der anderen Seite des weitläufigen Grundstücks reicht der Blick über Wiesen und Felder bis in die Berge. In der Tat würde Hans Taschner sein Heim „nicht mit einem Schloss tauschen“ wollen. Doch so gut hatte es der 97-Jährige keineswegs immer. Und wenn der betagte Herr heute die Ruhe im lichtdurchfluteten Wintergarten genießt, kommen nichtselten Erinnerungen an seine bewegte Vergangenheit hoch. 1911 wurde Hans Taschner als jüngstes von drei Geschwistern in der Münchner Westendstraße geboren. Sein Vater war Sozialdemokrat und Mitbegründer des Konsumvereins München, einer Genossenschaft, die ihre Mitglieder mit Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs versorgte. Den Sendlinger Konsumverein, eine von 125 Filialen der Genossenschaft, führten seine Eltern selbst. Taschner erinnert sich noch gut, wie die Menschen bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor dem Laden um Lebensmittel Schlange standen. Beeindruckt von der perfekten Organisation des Geschäfts, vom Fleiß seiner Eltern und der dort beschäftigten Verkäuferinnen machte Taschner später selbst eine kaufmännische Ausbildung in einem Textilbetrieb. Der Arbeiterschaft blieb er verbunden und engagierte sich in seiner Freizeit vor allem in der Gewerkschaft. Als der junge Mann jedoch seine Kollegen eines Tages zu einer Protestversammlung einlud, um sich gegen geplante Vertragsänderungen zu wehren, wurde er bereits am nächsten Tag vor die Tür gesetzt. Als „Gewerkschaftsrebell“ gebrandmarkt fand er erst zwei Jahre später wieder eine Stelle, und zwar bei der Arbeiterwohlfahrt, deren Büro im Münchner Gewerkschaftshaus in der Pestalozzistraße untergebracht war. Politisch sympathisierte Taschner damals mit dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK), der, wie er betont, schon früh vor der Bedrohung des Nationalsozialismus warnte und zum geschlossenen Widerstand aufrief. Auf einer öffentlichen Versammlung zog sich Taschner deshalb den Zorn des damaligen Gewerkschaftschefs Gustav Schiefer zu, der noch 1933 die Auffassung vertrat, dass der „Nazi-Spuk“ bald wieder vorüber sein würde. Doch nur wenige Tage später wurde das Gewerkschaftshaus besetzt und Schiefer von der SA verhaftet, während es Taschner noch gelang, eine von der damaligen Leiterin der AWO Geschäftsstelle, Frau Übelhör zusammengestellte Liste mit Namen von AWO Mitgliedern herauszuschmuggeln und zu verstecken. Nicht diese Aktion, sondern ein Flugblatt über den Widerstandskämpfer Hans Beimler, der aus dem Konzentrationslager Dachau geflohen war, wurde ihm zwei Jahre später selbst zum Verhängnis. Denn das Flugblatt hatte ihm jemand für alle sichtbar in den Briefkasten gesteckt und ihn anschließend denunziert. Obwohl zwar weder das Flugblatt noch andere Beweise für einen „Landesverrat“ bei ihm gefunden wurden, verhaftete die Gestapo den 24-jährigen Taschner und steckte ihn in das Gefängnis. Nach vier Monaten Untersuchungshaft in Stadelheim und Neudeck wurde zwar das eingeleitete Verfahren wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ wieder eingestellt, Taschner aber dennoch ins Konzentrationslager Dachau verfrachtet. Vier Jahre verbrachte er dort als politischer Gefangener. Nach monatelanger Schufterei in einer Kiesgrube und beim Lagerstraßenbau wurde er glücklicherweise auf Vermittlung eines Mithäftlings in die Lagerschreibstube „versetzt“. Dort lernte er unter anderen Mithäftlingen den KPD-Redakteur Willi Grimm, den späteren österreichischen Bundeskanzler Alfons Gorbach, den ehemaligen Braunschweiger Landtagspräsidenten Kuno Rieke und Kurt Schumacher, den späteren SPD-Chef im Deutschen Bundestag, kennen. „Obwohl ich zwischenzeitlich wegen angeblicher Meuterei in den Bunker musste, bei Verhören mit Ketten auf den Rücken gefesselten Händen hochgezogen und mit Stockhieben auf dem Bock gequält wurde, hatte ich damals keine Angst“, erinnert sich Taschner. Ganz einfach, weil er mit dem Leben innerlich schon abgeschlossen hatte.“ Die Angst kam erst nach seiner Entlassung im Jahr 1939, wo er anlässlich des 50. Geburtstages von Hitler als einer von 500 Gefangenen das KZ überraschend verlassen durfte. Die permanente Furcht, dass ihn ein falsches Wort wieder von einem Tag auf den anderen dahin zurück bringen könnte, war so groß, dass er regelrecht erleichtert war, als er noch im Dezember 39 in die Wehrmacht, die nichts von seiner Haft wusste, eingezogen wurde. 1941 kam er an die russische Front. So fühlte er sich wenigstens sicher vor dem KZ! Dach Glück im Unglück brauchte der ehemalige KZ-Häftling und jetzige Wehrmachtssoldat natürlich auch dort. So rettete wohl nur eine Fahrzeugpanne wenige Kilometer vor Stalingrad sein Leben, wo die deutschen Soldaten bereits eingekesselt waren. Gerade als Taschners Einheit die Fahrt wieder aufnehmen wollte, kam der Befehl zum Rückzug. Nach seiner ebenso gefährlichen wie abenteuerlichen Rückreise aus Russland landete Taschner schließlich wohlbehalten im Haus am Wörthsee, das seine Eltern Mitte der 30er-Jahre gebaut hatten. Sofort begann er bei seiner früheren Firma zu arbeiten. Später gründete er eine eigene Firma und veräußerte sie schließlich, als er sich mit 70 Jahren zur Ruhe setzte. Seit nunmehr acht Jahren besucht der sympathische alte Herr jeden Nachmittag seine Frau im Pflegeheim, die schwer erkrankt und bettlägerig ist. Zwar hat er sich als junger Mann damals im Dachauer KZ, Block 3 Stube 3, nicht träumen lassen, fast hundert Jahre alt zu werden und noch unzählige schöne Momente mit seiner Familie verbringen zu dürfen. Das gewisse „ungute Gefühl“, denunziert zu werden, ist jedoch bis heute geblieben. Für seinen Mut und seine unbeirrbare politische Einstellung zu einem demokratischen Sozialismus auf ethischer Basis nach l. Nelson, dem Gründer des ISK, wird der ehemalige AWO Mitarbeiter im Juni mit der Ehrenmedaille des Bezirksverbandes ausgezeichnet.
Rede bei der Gedenkstunde „Friedensweg“ am ehemaligen SS-Schießplatz Dachau-Hebertshausen
3. Mai 2009
Ernst Grube: Sich der „Geschichte stellen“ heißt für den Frieden kämpfen Anlässlich der Eröffnung des neuen Besucherzentrums der KZ-Gedenkstätte Dachau am 30.April auf dem ehemaligen Appellplatz sprach der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer vom Weg des Erinnerns „…dessen Abschnitt nun vollendet ist“. Er hat dabei „übersehen“, dass dieser Weg bis nach Hebertshausen, zur ehemaligen SS-Schießanlage führt und dieser Abschnitt noch lange nicht vollendet ist. Er sprach von den Opfern, von den Juden, den Sinti und Roma, von den Christen und von den überzeugten Demokraten. Dass diese überzeugten Demokraten Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftler waren, ist ihm wohl bis heute noch nicht bewusst geworden – er hat es nicht für nötig gefunden, diese zu benennen. Er fand auch kein einziges Wort für die tausende sowjetischen Kriegsgefangenen, die hier an diesem Ort von den Faschisten ermordet wurden. Der von den faschistischen Machthabern in Deutschland propagierte Rassismus gegenüber Juden, Sinti und Roma und anderen Minderheiten hat das rücksichtslose Vorgehen der deutschen Wehrmacht mit bestimmt. Die Menschen aus der Sowjetunion und aus anderen Teilen Osteuropas wurden von den deutschen „Herrenmenschen“ als „Untermenschen“ angesehen und behandelt. Mit dem so genannten „Kommissarbefehl“ des Oberkommandos der Wehrmacht vom 6. Juni 1941, den damit verbundenen „Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Russland“ und den Einsatzbefehlen Nummer 8 und 9, die im Juli 1941 das Reichssicherheitshauptamt in enger Abstimmung mit dem Oberkommando der Wehrmacht erließ, wurden Kriterien festgelegt, wer alles in den Kriegsgefangenenlagern „ausgesondert“, das heißt erschossen werden soll. Der hier gelegene SS-Schießplatz Hebertshausen gehörte zu den zentralen Exekutionsorten für sowjetische Kriegsgefangene. SS-Einheiten ermordeten hier von September 1941 bis Juni 1942 4.300 bis 4.500 Gefangene. Gegen geltendes Völkerrecht hatten Wehrmacht und Gestapo in süddeutschen Kriegsgefangenenlagern Hammelburg, Nürnberg-Langwasser und Moosburg die Offiziere, kommunistische Funktionäre, Intellektuelle und Juden zur Ermordung „ausgesondert“. Für die an diesem Ort zusammen getriebenen Menschen aus der Sowjetunion gab es keine Aussicht auf eine Befreiung. Wir gedenken hier der im Umfeld des Konzentrationslagers Dachau ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen. Die hunderttausendfachen Morde an sowjetischen Kriegsgefangenen – in Dachau-Hebertshausen und anderen Konzentrationslagern und in der von Deutschland überfallenen Sowjetunion – gehören neben den Massenmorden an Juden, an Sinti und Roma, Behinderten, politischen Gegnern u .a. zu den größten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die vom NS-Regime und seinen Vollstreckern verübt wurden. Der Großteil dieser Verbrechen wurde nie gesühnt, die Täter entgingen der Bestrafung. Dies betrifft sowohl die Verbrechen in den Konzentrationslagern als auch die Verbrechen der Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges in Ost und West. Einige dieser Verbrechen sind in den vergangenen Jahren wieder etwas deutlicher in den Blick der Öffentlichkeit gerückt – auch, weil Historiker, Verfolgtenorganisationen und kritische Nachgeborene nicht nachließen und nachlassen im Bemühen, die Verbrechen aufzuklären, nach noch lebenden Tätern zu fahnden und überlebende Opfer und deren Angehörige zu unterstützen in ihrem Kampf um eine Entschädigung für die Leiden, die von Deutschen über sie und ihre Familien gebracht wurden. Vor allem in Griechenland und in Italien geht es darum – und die deutschen Behörden verhalten sich bisher mehr als beschämend in diesen Fragen. Einige Beispiele: Im Juni 1944 wüteten die Wehrmacht als Besatzungsarmee und die SS unter anderem in Italien und in Griechenland. In einer kleinen Ortschaft nicht weit von Delphi ermordeten Angehörige der 4. SS-Polizei-Panzergrenadier-Division im Zuge einer so genannten Vergeltungsaktion 218 am Widerstand der Partisanen völlig unbeteiligte Dorfbewohner. Im Gefechtsbericht wurde behauptet, „Bandenangehörige und Bandenverdächtige“ seien getötet worden. Überlebende berichteten nach dem Massaker jedoch, dass Männer und Kinder wahllos erschossen, Frauen vergewaltigt und niedergemetzelt wurden. Für das Massaker wurde kein (verantwortlicher) Soldat je strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Vor italienischen Gerichten haben inzwischen italienische Opfer der deutschen Besatzer erfolgreich auf Entschädigung, die griechischen Opfer erfolgreich auf Vollstreckbarkeit ihres griechischen Rechtstitels gegen deutsches Eigentum in Italien geklagt. Die Bundesrepublik Deutschland hat in all diesen Entschädigungsverfahren „Staatenimmunität“ für die Kriegs- und Völkerrechtsverbrechen gefordert. Dieses Argument haben sowohl das höchste Gericht Griechenlands als auch der italienische Kassationshof zurückgewiesen. Um der Vollstreckung der Entschädigungsansprüche zu entgehen, hat die Bundesregierung nun im Dezember 2008 Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag erhoben. Sie will grundsätzlich festschreiben lassen, dass die italienischen Gerichte für diese Rechtsfälle nicht zuständig, ihre Urteile eine Verletzung des Völkerrechts, eine Verletzung der Souveränitätsrechte Deutschlands seien. Die Bundesrepublik Deutschland stellt sich also in diesem Verfahren selbst als Opfer dar. Diese Klage vor dem Internationalen Gerichtshof ist eine Verhöhnung der Opfer! Die Klage muss zurückgezogen werden! Ein weiteres Beispiel: In Falzano di Cortona, einem Dorf in der Toskana, mordeten am Juni 1944 Angehörige des Gebirgs-Pionier-Bataillons 818. Auch hier nennen sie es „Vergeltungsaktion“. Eine 74-jährige Frau, ein 14-jähriger Junge sowie drei Männer im Alter zwischen 21 und 55 Jahren werden sofort erschossen.13 Männer zwischen 15 und 74 Jahren werden festgenommen, elf von ihnen in ein Haus gesperrt. Das Haus wird vermint und mit den Eingesperrten in die Luft gesprengt. Die Angehörigen der Ermordeten – von denen kürzlich einige hierher zu einer Veranstaltung über die deutschen Kriegsverbrechen in Italien und Griechenland gekommen waren – verlangen, dass strafrechtlich und zivilrechtlich Verantwortung für die Massaker übernommen wird. Wenn schon versäumt wurde, die Täter rechtzeitig zur Rechenschaft zu ziehen, so sollten wenigstens die Opfer und Hinterbliebenen der Verbrechen endlich entschädigt werden. Wie sagte der Bayerische Ministerpräsident vor einigen Tagen auf dem Appellplatz: „Wir vergessen nicht, wir verdrängen nicht, wir relativieren nicht was (hier)geschah. Wir stellen uns unserer Geschichte“. Wenn Sie das ernst meinen, Herr Ministerpräsident, dann helfen Sie mit, dass die noch lebenden Opfer dieser Verbrechen und deren Hinterbliebene die ihnen gebührende Entschädigung erhalten. Seit nunmehr 22 Jahren trägt diese Gedenkveranstaltung an die ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen den Namen „Friedensweg“. Als sie 1985 erstmals stattfand, bestand die Gefahr, dass aus dem damaligen Kalten Krieg wieder ein heißer werden könnte. Von diesem Ort forderten wir damals mit Freunden aus der Friedensbewegung, dass an die Stelle der Ost-West-Blockkonfrontation eine Politik des Verhandelns und der Aussöhnung treten und das Drehen an der mörderischen Hochrüstungsspirale ein Ende haben müsse. Die Initiatoren des „Friedensweges“ fanden für solchen einen Appell den Ort des nazistischen Massenmordes an sowjetischen Kriegsgefangenen, den damals als Gedenkort vernachlässigten ehemaligen SS-Schießplatz Hebertshausen, als eine angemessene Stätte. Die damalige Systemkonfrontation gibt es in dieser Form seit über einem Jahrzehnt nicht mehr. Wer aber geglaubt und gehofft hatte, es würde ab jetzt friedlicher in der Welt zugehen und allseits abgerüstet werden, der sah sich schnell eines Schlechteren belehrt. Auch über 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat sich der Wunsch nach einer friedlichen Welt nicht erfüllt. Das große „Nie wieder!“, das auch in der Gedenkstätte Dachau in mehreren Sprachen an der Mauer steht, an der wir unsere Kränze niederlegen – dieses „Nie wieder!“ hat stets bedeutet: „Nie wieder Faschismus“, nie wieder Massenvernichtung und Terror, aber eben auch „.Nie wieder Krieg“. Ministerpräsident Seehofer griff dieses „Nie wieder“ auf. Er sagte: „ Die Menschen, die dieses Grauen überlebten, legten den Schwur ab: „Nie wieder““. Dieser Schwur bedeutet Verantwortung und Verpflichtung für uns und für den (Bayrischen) Staat jeder Form der Ausgrenzung, der Verletzung der Menschenrechte, den Aktivitäten der Neonazis entgegenzutreten.“ Menschen und Organisationen, wie das antifaschistische Dokumentationsarchiv „a-i-d-a“ oder die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ die sich den Neonazis und damit der Verbreitung der Nazi-Ideologie entgegenstellen, dürfen staatlicherseits nicht behindert oder durch Nennung im Verfassungsschutzbericht diskriminiert und beschädigt werden. Sich der „Geschichte stellen“ heißt für den Frieden kämpfen – Neofaschismus verhindern. Für die Bayerische Staatsregierung heißt es aber auch: den Weg des Erinnerns bis nach Hebertshausen zu vollenden. Hier an diesem Ort muss die begonnene Gestaltung eines Friedhofes und eines würdigen Gedenkortes vollendet werden. Der Bund hat die hierfür notwendigen Teilmittel zur Verfügung gestellt – jetzt fehlen noch etwa 400 000 Euro aus Mitteln des bayrischen Staates. Liebe Freunde und Freundinnen der alte Brauch, unsere Nelken im Anschluss an die Gedenkstunde im Kugelfang des Schießplatzes abzulegen, ist nicht mehr so wie bisher möglich, da sterbliche Überreste von Erschossenen vor dem Kugelfang gefunden wurden. Es handelt sich also um Gräber, die wir mit Respekt behandeln und nicht mit Füßen treten sollten. Ich bitte euch deshalb, die Blumen an den beiden Mahnmalen niederzulegen. (Ernst Grube ist stellvertretender Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau, Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Bayern (VVN-BdA) und stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit in Dachau)
Internationale Solidarität
1. Februar 2006
Ulrich Schneider über ein Grundprinzip des Antifaschismus Ein wichtiges Element antifaschistischer Arbeit war schon immer die internationale Solidarität. Dieses Prinzip, dass politisches Handeln für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte nicht an den nationalen Grenzen halt machen oder gar zu Lasten von Menschen und Völkern anderer Nationen durchgesetzt werden kann, war eine Grunderkenntnis der Kräfte der Arbeiterbewegung, die historisch die Hauptlast des antifaschistischen Kampfes trugen. Dabei war es keine Frage der jeweiligen politischen Position, dies galt gleichermaßen für sozialdemokratische, kommunistische und andere Richtungen der Arbeiterorganisationen. Dieser Internationalismus im antifaschistischen Handeln wurde auch von liberalen und bürgerlichen Kräften anerkannt. Erlebten sie doch, dass Internationalismus eine existenzielle Notwendigkeit des Handelns gegen die nationalistische und chauvinistische Ideologie der jeweiligen faschistischen Herrschaft, ob in Deutschland, Italien, Spanien, Bulgarien oder in anderen Ländern war. Faschistische Ideologie und Politik, die sich zu einer direkten Bedrohung nicht nur für die Nachbarstaaten entwickelte, war in der Regel verbunden mit imperialistischen Expansions- und Herrschaftsplänen. Sie konnten nur im gemeinsamen Kampf aller von diesen Regimes bedrohten Länder und Völker bekämpft werden. Daraus ergab sich ganz originär eine Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg.
Kraftquell des Widerstandes
Dabei hatte solche Zusammenarbeit im antifaschistischen Handeln wenig zu tun mit dem klassischen Koalitions- und Beistandspaktdenken der herrschenden Eliten der jeweiligen Staaten. Es war vielmehr aus den Erfahrungen der Antifaschisten eine Zusammenarbeit der Völker, die sich auch in praktischer Solidarität mit den Verfolgten und im antifaschistischen Handeln ausdrückte. Dazu gehörte beispielsweise die Hilfe für Verfolgte und Exilanten oder die Unterstützung von Widerstandsgruppen bei der grenzüberschreitenden antifaschistischen Arbeit. Besonders aktiv war in diesem Zusammenhang die Internationale Transportarbeiter Föderation (ITF), die sich bei der Rettung von Verfolgten und beim illegalen Transport von Druckschriften hervorgetan hat. Aber auch in den Ländern des Exils war dieser Internationalismus lebendig. Er schuf die Rahmenbedingungen, dass in Prag der Exilvorstand der SoPaDe arbeiten konnte, in Moskau das ZK der KPD, in London der „Deutsche Kulturbund“ und in mehreren Ländern deutsche Antifaschisten, die im Exil die Komitees „Freies Deutschland“ und andere politische Strukturen des antifaschistischen Handelns aufbauen konnten. Antifaschismus als Internationalismus zeigte sich besonders deutlich im Kampf gegen die Bedrohung der Spanischen Republik durch den faschistischen Putsch von General Franco. Hier formte er sich in den Internationalen Brigaden, die – gegen die „Nichteinmischungshaltung“ der Westmächte – praktische Solidarität mit der bedrohten Republik übten. Die Kraft der internationalen Solidarität vermochte es, den faschistischen Vormarsch mehrere Monate erfolgreich aufzuhalten. Viele Antifaschisten zogen mit dem Bewusstsein nach Spanien, dort nicht nur Franco zu stoppen, sondern damit indirekt auch der faschistischen Bedrohung in ihrem eigenen Land entgegenzutreten. Und nicht nur in Spanien lebte der Internationalismus. Die Teilnahme deutscher Antifaschisten in den Reihen der Armeen der Anti-Hitler-Koalition, in der französischen Résistance und im bewaffneten Widerstand anderer Länder war ein sichtbares Zeichen für diese Gemeinsamkeit der antifaschistischen Idee über Grenzen, Nationen und Völker hinweg. Besondere Bedeutung erhielt der internationalistische Charakter des antifaschistischen Widerstandes in den Konzentrationslagern. Hier ging es darum, durch die illegale vertrauensvolle Zusammenarbeit von deutschen und ausländischen Häftlingen ein gemeinsames Überleben zu sichern. Dies war schwerer als in den Zeiten der Illegalität, da in den KZs nicht nur politisch klar denkende Häftlinge eingesperrt waren. Umso wichtiger war es für das Überleben aller Häftlinge, auch unter diesen Bedingungen Solidarität und Internationalismus zu praktizieren. In fast allen größeren Lagern bildeten sich konspirativ internationale Häftlingskomitees. Im KZ Buchenwald gelang es bekanntermaßen, sogar eine illegale Internationale Militärorganisation aufzubauen, die die Basis für die Selbstbefreiung der Häftlinge am 11. April 1945 bildete. Und es war nur konsequent, dass die befreiten Häftlinge des Lagers am 19. April 1945 einen gemeinsamen Schwur ablegten, der bis heute das Vermächtnis aller Überlebenden des KZ Buchenwald ist, aus welchem Land auch immer sie kommen.
Nach der Befreiung fortgesetzt
Dieser Internationalismus und die hohe Wertschätzung der deutschen antifaschistischen Widerstandskämpfer war die Begründung dafür, dass die VVN 1947 als erste deutsche politische Organisation wieder ein gleichberechtigtes Mitglied der internationalen Gemeinschaft in der FIAPP (Fédération Internationale des Anciens Prisonniers Politiques, Internationale Föderation ehemaliger politischer Gefangener), der Vorläuferorganisation der FIR, werden konnte. Diese internationale Zusammenarbeit erwies sich als eine wirksame politische Kraft im antifaschistisch- demokratischen Neuanfang, sei es in der Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechern, sei es in der Verteidigung der sozialen und gesellschaftlichen Rechte der Verfolgten des Naziregimes, sei es in der Solidarität mit der vom Verbot bedrohten VVN oder im gemeinsamen Handeln gegen SS-Traditionsverbände und das Wiederaufkommen alt- und neofaschistischer Parteien und Gruppen. Im Umfeld der VVN-BdA entstanden zwei Organisationen, die im besonderen Maße mit dieser internationalistischen Arbeit verbunden sind: die DRAFD (Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung „Freies Deutschland“ e.V.) und die „Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik“. In dem 1992 gegründeten Verband DRAFD fanden diejenigen Frauen und Männer zusammen, die im Ausland in den Truppen der Anti-Hitler-Koalition, in den Reihen der Partisanen und Résistance-Kämpfer oder in den organisatorischen Strukturen der antifaschistischen Komitees ihren Beitrag für die Befreiung Deutschlands von Faschismus und Krieg geleistet hatten. Sie standen in der Bundesrepublik oftmals vor dem Problem, dass ihr Kampf durch die entsprechenden Entschädigungsgesetze nicht anerkannt war, sie daher um Wiedergutmachung und politische Anerkennung streiten mussten. Während sie in den europäischen Nachbarstaaten hoch geehrt sind, mit Auszeichnungen zum „Ritter der Ehrenlegion“ ernannt werden, müssen sie in der BRD um ihre Wertschätzung streiten. Dabei gelingt es der DRAFD immer besser, in der politischen Öffentlichkeit die Leistungen und Verdienste der deutschen Antifaschisten, die an der Seite der Alliierten kämpften, zu verdeutlichen. Die Ausstellung „Deutsche in der Résistance“ wurde seit 2004 mit großem Erfolg in verschiedenen Städten gezeigt. Ein wichtiges Anliegen der DRAFD ist die Weitergabe der Erfahrungen an die nachgeborenen Generationen. Ein erfolgreiches Beispiel war sicherlich die gemeinsame Fahrt von ehemaligen Kämpfern der Résistance und jungen Antifaschisten im Sommer 2004 nach Oradour sur Glane. Dabei standen Erinnerung und Begegnung mit französischen Antifaschisten gleichberechtigt nebeneinander. Einen wichtigen Beitrag zu antifaschistischer Internationalismus-Arbeit leisten auch die „Kämpfer und Freunde der Spanischen Republik“. Sie halten mit ihren Zeitzeugen und historischen Berichten die Erinnerung an den internationalen antifaschistischen Kampf zur Verteidigung der Republik gegen die faschistische Bedrohung lebendig. Dabei leisten sie diese Arbeit in einem Netzwerk von Organisationen in Europa und den USA und in enger Verbindung mit jungen Generationen. Die alljährlichen internationalen Sommertreffen dienen dem Austausch von Erfahrungen und der Vorbereitung gemeinsamer antifaschistischer Initiativen. So ist auf Vorschlag der britischen Organisation im Frühjahr 2006 geplant, den Weg der Pyrenäen-Überquerung der ersten Mitglieder der Internationalen Brigaden, die illegal nach Spanien einreisten, nachzugehen. Hier werden in besonderem Maße auch jüngere Antifaschisten erwartet. Ein Sonderfall ist die über vierzigjährige Arbeit des Internationalen Rombergpark-Komitees in Dortmund. Verbunden mit der Erinnerung an ein faschistisches Verbrechen in den letzten Tagen des Krieges wurde der Kontakt zu den überlebenden Angehörigen in zahlreichen Ländern zum Ausgangspunkt der internationalen Arbeit. Dieses Komitee und die Gedenkveranstaltung zum Karfreitag in der Bittermark haben sich in den letzten Jahrzehnten als Fokus der internationalen Verbindungen der antifaschistischen Organisation in Nordrhein-Westfalen erwiesen.
VVN-BdA praktiziert Internationalismus
Die internationale Arbeit der VVN-BdA findet aber nicht nur in der FIR oder im Rahmen solcher Organisationen statt. Unser Internationalismus ist mit vielen Handlungsfeldern verbunden und wird als lebendiger Bestandteil der Arbeit der Organisation auf Bundes-, Landes- und Kreisebene verstanden. Wenn im Folgenden einzelne Beispiele angeführt werden, ist klar, dass damit nur ein kleiner Ausschnitt der unterschiedlichen Aktivitäten abgebildet werden kann. Dieser Internationalismus zeigte sich konkret in der Unterstützung der Entschädigung für Zwangsarbeiter des faschistischen Sklavensystems. Die Sicherung von Dokumenten, die Aufarbeitung von Einzelschicksalen, wie es beispielsweise die Bremer Landesvereinigung mit dem Schicksal niederländischer Zwangsarbeiter gemacht hat, sind konkrete Beiträge zum Internationalismus. Schon seit vielen Jahrzehnten arbeitet die VVN-BdA im Saarland an der Aufarbeitung der Schicksale französischer Verfolgter im KZ Neue Bremm und anderen Haftstätten. Dies erfolgt in enger Verbundenheit mit französischen Partnern, wie der FNDIRP, der ANACR, der ANCAC und anderen. Begegnungen, Konferenzen und Dokumentationen sind die bisherigen praktischen Resultate dieser Arbeit. Entsprechend der historischen und geographischen Nähe ist in Baden-Württemberg die Geschichtsarbeit eng mit der Arbeit am Gedenkort Natzweiler-Struthof verbunden. Dabei haben sich VVN-BdA-Mitglieder als anerkannte Betreuer von Gruppenbesuchen in der Gedenkstätte etabliert. Mit Gedenkmärschen durch das Elsass auf den Spuren von Heidi Hautval werden alternative Formen der Zugänge zur antifaschistischen Geschichte gesucht und erfolgreich umgesetzt. Internationalistische Arbeit im Kontext einer Gedenkstätte steht auch für die Thüringische VVN-BdA im Zentrum. Seit vielen Jahren betreuen die Mitglieder die Überlebenden des KZ Buchenwald, wenn sie im Rahmen der Feiern zur Selbstbefreiung nach Thüringen kommen. Besonders im Jahr 2005 konnten zahlreiche Veranstaltungen mit Schulklassen und Jugendgruppen mit den Häftlingen aus allen Teilen Europas und aus Israel durchgeführt werden. Dadurch verbindet sich solche internationale Arbeit mit der Jugendarbeit der VVN-BdA. Ähnliches kann auch aus der Arbeit der sächsischen VVN-BdA berichtet werden. Ob es die erfolgreiche Arbeit der deutsch-tschechischen „Spurensucher“ oder die Begegnung in Auschwitz mit Jugendlichen aus Hoyerswerda ist, die von der VVN-BdA angeregt wurde.
Internationale Aufgabe – Antirassismus
Zu unseren internationalistischen Inhalten gehörten die politische Solidarität gegen die faschistischen Regime in Portugal, Griechenland oder Chile und – ganz aktuell – die Kampagne zur Rettung von Mumia Abu Jamal. Es war ein deutliches Zeichen dafür, dass der internationalistische Antifaschismus in der VVN-BdA lebendig ist, ihn auf dem Vereinigungskongress einstimmig als Ehrenmitglied aufzunehmen. Seine Grußadresse an den Bundeskongress Ende Mai 2005 war ein emotionaler Höhepunkt. Der Internationalismus antifaschistischer Politik beweist sich aber nicht allein in der Solidarität mit Völkern und Menschen, die in anderen Ländern von Faschismus und Rassismus bedroht werden. Dazu gehört in unserem Land auch die Solidarität mit Menschen ohne deutschen Pass. Hier erweist sich antifaschistischer Internationalismus als „Humanismus in Aktion“, geht es doch darum, das Recht eines jeden Menschen auf Würde und körperliche Unversehrtheit zu verteidigen. Antifaschismus ist eine internationalistische Kraft: damals, heute und morgen. Denn Internationalismus ist auch ein Gegenentwurf zu Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus – nicht allein der extremen Rechten. Dr. Ulrich Schneider
Generalsekretär der FIR und Bundessprecher der VVN-BdA
Appell an die Jugend
15. März 1997
Nehmt es wahr, nehmt wenigstens ihr es wahr… …was von Eueren Vorfahren meistens verdrängt, auch diskriminiert und verleugnet wurde: Das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand. Zumeist waren es einfache Frauen und Männer, vorwiegend aus der Arbeiterbewegung, in der Mehrzahl Jugendliche, die gegen Hitler und den Krieg kämpften. Nicht erst, als offenkundig wurde, daß Hitler den Krieg verliert, sondern von 1933 an! Den Krieg wollten sie verhindern, den jüdischen Menschen, den Völkern Europas und dem eigenen Volk das unermeßliche Leid ersparen, das der Nazifaschismus letztlich über sie brachte. Dafür riskierten sie alles, ihre Existenz, ihre Freiheit und ihr Leben, nahmen Konzentrationslager und Folter in Kauf. Vergeßt deshalb nie! Ihnen ist es zu verdanken, daß der Name unseres Landes nicht ausschließlich mit Schande und Ehrlosigkeit besudelt wurde. Wir, die Überlebenden, haben vor 50 Jahren die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«, die VVN gegründet. Unterschiedlich in unseren politischen und weltanschaulichen Auffassungen, sowie in unserer sozialen Herkunft, waren wir gemeinsam im Widerstand und verfolgt. So haben wir auch gemeinsam die VVN gegründet, Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale, Juden und Christen. Wir haben überlebt mit einem einzigen Gedanken: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Es galt das Vermächtnis der Millionen Toten der faschistischen Massenvernichtung zu bewahren, die die Befreiung am 8.Mai nicht erleben konnten. Der Nazihölle entronnen, dem sogenannten »Tausendjährigen Reich«, das für uns tatsächlich wie tausend Jahre war, jede Stunde, jeden Tag den Tod vor den Augen. Diese entsetzliche Zeit hinter uns, träumten wir von einem künftigen Leben ohne Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Militarismus. Wir wollten, daß unsere unmenschlichen Erfahrungen eine Warnung für die Nachwelt sein würden. Wir träumten von einem Leben in sozialer Gerechtigkeit, in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern. Wir träumten, daß nun für alle Zeiten unsere Kinder und Kindeskinder sich der Sonne, der Blumen, der Liebe erfreuen können, ohne in Angst vor Faschismus und Krieg leben zu müssen. Nach der Befreiung war es für uns, die Überlebenden, unvorstellbar, daß fast nichts von unseren Visionen und Hoffnungen in Erfüllung gehen würde. Unfaßbar für uns, wie reibungslos sich der Übergang vom Nazireich in die Bundesrepublik vollzog. Daß ehemalige hohe Nazifunktionäre entscheidende Positionen in Regierung, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Hochschulen, Medizin, im Geheimdienst und Militär einnahmen, und damit jahrzehntelang wesentlich das Klima der Politik und die prägenden Geburtsjahre dieser Republik bestimmten. Kriegsverbrecher, selten belangt und wenn, dann schonend behandelt, erhalten bis heute Opferrenten, während ganze Gruppen von Verfolgten des Naziregimes, u.a. ehemalige Zwangsarbeiter, immer noch ohne Entschädigung bleiben. Ganz zu schweigen von dem diskriminierenden Umgang mit Wehrmachtsdeserteuren die sich verweigerten, einem verbrecherischen Krieg zu dienen. 1945 war es für uns unvorstellbar, daß Ihr, die Nachgeborenen, erneut konfrontiert sein würdet mit Nazismus, Rassismus, einem wieder auflebenden Nationalismus und Militarismus. Und nun noch die ungeheure Massenarbeitslosigkeit, die immer größer werdende Kluft zwischen arm und reich, die katastrophale Zerstörung der Umwelt. Immer mehr junge Menschen leben in Zukunftsängsten. Wir hoffen auf Euch. Auf eine Jugend, die das alles nicht stillschweigend hinnehmen wird! Wir bauen auf eine Jugend, die sich zu wehren weiß, die nicht kapituliert, die sich nicht dem Zeitgeist anpaßt, die ihm zu trotzen versteht, und deren Gerechtigkeitsempfinden nicht verloren gegangen ist. Wir setzen auf eine Jugend, höllisch wachsam gegen alles, das wieder zu einer ähnlich braunen Barbarei führen könnte; eine Jugend, die nicht wegsieht, wo Unrecht geschieht, wo Menschenrechte verletzt werden; eine Jugend, die sich in die Tradition des antifaschistischen Widerstandes zu stellen vermag, eine Jugend, die diese Tradition aufnimmt und auf ihre eigene Art und Weise weiterführt. Wir glauben, daß dafür Eure Herzen brennen können, daß Euer Gewissen nicht ruhen wird. Laßt Euch nicht wegnehmen, was Ihr noch an demokratischen und sozialen Errungenschaften vorfindet. Laßt sie nicht weiter abbauen! Von keinem Regierenden sind sie Euch geschenkt worden: Es sind vor allem die Errungenschaften des antifaschistischen Widerstandes, der Niederringung des Nazifaschismus. Verteidigt, was Ihr noch habt, verteidigt es mit Klauen und Zähnen! Es verlangt nur etwas Zivilcourage, nicht einmal besonderen Mut. Ihr riskiert nicht das Leben, nichts was dem antifaschistischen Widerstand vergleichbar wäre. Und vergeßt nicht: Der Internationalismus und die Solidarität mit den Benachteiligten und Ausgegrenzten sind unentbehrlich in diesem Kampf. Knüpft dieses Band immer fester, macht es unzerreißbar! Reiht Euch auch ein in die Kampfgemeinschaft VVN-Bund der Antifaschisten, der organisierte Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses an Widerstand und Verfolgung. Sie braucht Euch! In absehbarer Zeit wird es keine Zeitzeugen des schrecklichsten Abschnitts deutscher Geschichte mehr geben. Laßt das Vermächtnis des Widerstandes nicht in Vergessenheit versinken, den Schwur von Buchenwald: »Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!« Übernehmt Ihr nun diesen immer noch zu erfüllenden Auftrag: ein gesichertes menschenwürdiges Leben im friedlichen Nebeneinander mit den Völkern der Welt! Sorgt dafür, daß aus der Bundesrepublik ein dauerhaftes, antifaschistisches, humanes, freiheitliches Gemeinwesen wird, in dem einem Wiederaufflammen des Nazismus, nationalem Größenwahn und rassistischen Vorurteilen keinen Raum mehr gegeben wird. Wir vertrauen auf die Jugend, wir bauen auf die Jugend, auf Euch!
Dieser Appell wurde aus Anlaß des 50-jährigen Bestehens der VVN-BdA verfaßt von:
Esther Bejarano, 1924 geboren in Saarlois/ Saarland. 1940 flüchtet die Familie vor den Nazis nach Breslau, wo Esther 1941 in das Zwangsarbeiterlager Neuendorf gebracht wurde, während ihre Eltern nach Riga (Litauen) deportiert und dort in einem Wald von der SS erschossen wurden. Am 20. April 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und musste zunächst in einem Arbeitskommando Steine schleppen. Später hatte sie die Möglichkeit, wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten, im Mädchenorchester von Auschwitz zu spielen. Auf einem Todesmarsch konnte sie fliehen. Sie überlebte, ging nach Israel und kehrte 1960 mit ihrer Familie nach Deutschland zurück. Heute tritt sie als Zeitzeugin auf und gibt Konzerte mit jiddischen Liedern. Peter Gingold, 1916 in Aschaffenburg geboren, wurde 1933 verhaftet und musste nach mehreren Monaten Gefängnis nach Frankreich emigrieren. Dort war er in der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung aktiv. Er wurde 1943 verhaftet und gefoltert. Durch eine List entkam er den Nazis. Er schloß sich erneut der Résistance an und half bei der Befreiung von Paris. Später in Italien ging er zu den Partisanen, um weiter gegen den Faschismus zu kämpfen. Nach der Befreiung lebte er wieder in Frankfurt und war in der kommunistischen und antifaschistischen Bewegung aktiv. Als Zeitzeuge sprach er vor tausenden Schulklassen und Jugendgruppen, auf Demonstrationen und Kundgebungen, wo er seine Erfahrungen auf sehr lebendige und eindringliche Art vermittelte. Peter Gingold starb am 29. Oktober 2006 in Frankfurt am Main.